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Im Jahr 2015 erlebte Deutschland eine der größten Flüchtlingsbewegungen der jüngeren Geschichte. Bundeskanzlerin Angela Merkel entschied, angesichts der humanitären Notlage, die Grenzen für hunderttausende Flüchtlinge zu öffnen, die vor Krieg, Verfolgung und Armut aus Syrien, Afghanistan und anderen Krisengebieten flohen. Diese Entscheidung, die damals weltweit Aufsehen erregte, hatte besonders auf Stadtteile wie St. Georg in Hamburg weitreichende Auswirkungen.
Heute, fast zehn Jahre später, ist St. Georg ein Viertel, das die Veränderungen dieser Zeit tief verinnerlicht hat. Wie haben sich diese Entwicklungen auf das tägliche Leben, die Kultur und die Gemeinschaft ausgewirkt? Und welche Herausforderungen und Chancen hat der Zustrom von Migranten mit sich gebracht?
St. Georg: Ein Stadtteil im Wandel
St. Georg war schon immer ein Schmelztiegel der Kulturen. Das Viertel, das für seine multikulturelle Vielfalt und Offenheit bekannt ist, hat seit den 1970er Jahren eine lange Tradition als Anlaufstelle für Migranten aus verschiedenen Teilen der Welt. Doch die Flüchtlingskrise von 2015 brachte eine neue Dimension des Wandels mit sich. Der Stadtteil wurde zur Heimat vieler Geflüchteter, die hier eine neue Existenz aufbauen wollten.
Viele der Geflüchteten kamen zunächst in Notunterkünften unter, später zogen sie in eigene Wohnungen im Viertel. Die Ankunft von so vielen neuen Menschen, die häufig wenig Deutsch sprachen und aus sehr unterschiedlichen kulturellen Kontexten kamen, stellte die lokale Gemeinschaft vor neue Herausforderungen. Plötzlich mussten Ressourcen wie Wohnraum, Schulen und soziale Dienste neu organisiert und verteilt werden. Auch das Zusammenleben im Viertel erfuhr einen tiefen Einschnitt.
Integration: Fortschritte und Herausforderungen
In den vergangenen zehn Jahren haben sich viele der Geflüchteten in St. Georg integriert. Zahlreiche Initiativen, Hilfsprojekte und freiwillige Helfer haben die Neuankömmlinge unterstützt, die deutsche Sprache zu lernen und sich beruflich zu integrieren. Viele der Geflüchteten haben inzwischen eine Ausbildung abgeschlossen, arbeiten in Handwerksberufen, der Gastronomie oder im Dienstleistungssektor und sind Teil des Alltagslebens in St. Georg geworden.
Doch die Integration war nicht immer einfach. Besonders in den ersten Jahren nach 2015 standen viele Geflüchtete vor enormen Herausforderungen: der Wohnungsmangel, bürokratische Hürden und der Kampf um Arbeitsplätze haben oft zu Frustration geführt. Auch auf der sozialen Ebene gab es Spannungen, insbesondere dort, wo sich das Gefühl der Überforderung breit machte – sei es in den Schulen, auf dem Arbeitsmarkt oder im Zusammenleben in den Wohnvierteln.
Die sichtbaren Veränderungen im Viertel
Für viele Menschen, die seit Jahren in St. Georg leben, hat sich das Gesicht des Viertels gefühlt verändert. Die soziale Struktur wurde durch die Ankunft so vieler neuer Menschen vielfältiger, aber auch komplexer. Besonders im Bereich der öffentlichen Sicherheit und des sozialen Zusammenhalts gab es immer wieder Debatten. Einige Anwohner bemängeln, dass es seit 2015 vermehrt zu Konflikten und kleineren Delikten gekommen sei, während andere die kulturelle Bereicherung und das Engagement vieler Neuankömmlinge in den Vordergrund stellen.
Im öffentlichen Raum, etwa auf dem Hansaplatz oder entlang des Steindamms, ist die Präsenz von Menschen mit Fluchthintergrund spürbar. Das Straßenbild hat sich mit der Eröffnung neuer Geschäfte, Cafés und Treffpunkte, die von Migranten betrieben werden, verändert. Gleichzeitig gibt es auch Bereiche, in denen sich Menschen aus bestimmten Herkunftsländern verstärkt niedergelassen haben, was zu einer teilweise stärkeren Segregation geführt hat.
Die Auswirkungen auf Wohnraum und Infrastruktur
Ein großes Thema in St. Georg ist der Wohnraummangel. Schon vor der Flüchtlingskrise war der Stadtteil von steigenden Mieten und Wohnungsknappheit betroffen. Mit dem Zustrom von Geflüchteten verschärfte sich die Situation. Viele der neu ankommenden Menschen mussten in Sammelunterkünften oder Notquartieren untergebracht werden, was den Druck auf den Wohnungsmarkt weiter erhöhte.
Auch die sozialen Einrichtungen und Schulen im Viertel mussten sich an die neue Situation anpassen. In vielen Schulen stieg der Anteil von Kindern mit Migrationshintergrund rapide an, was zu neuen Herausforderungen in der Sprachförderung und im Bildungsbereich führte. Gleichzeitig entstanden zahlreiche Förderprogramme, um den jungen Menschen den Start ins deutsche Schulsystem zu erleichtern.
Kultur und Gemeinschaft: Ein Schmelztiegel mit neuen Facetten
Trotz der Herausforderungen ist St. Georg heute vielleicht bunter und vielfältiger denn je. Die kulturelle Bereicherung, die die Migranten mit sich gebracht haben, spiegelt sich in den vielen neuen Gastronomiebetrieben, Geschäften und Veranstaltungen wider, die das Leben im Viertel prägen. Restaurants, die syrische, afghanische oder eritreische Küche anbieten, sind aus dem Viertel nicht mehr wegzudenken. Auch kulturelle und religiöse Feste, wie das Zuckerfest oder das Neujahrsfest der Jesiden, haben in St. Georg ihren Platz gefunden.
Das Zusammenleben im Viertel ist nicht immer reibungslos, aber die Vielfalt wird von vielen als Stärke wahrgenommen. Zahlreiche Initiativen und Organisationen, wie lokale Flüchtlingsprojekte und Nachbarschaftsvereine, arbeiten daran, den sozialen Zusammenhalt zu fördern und den Dialog zwischen den verschiedenen Gruppen zu stärken.
Ein Viertel im Wandel, 10 Jahre später
Zehn Jahre nach der Entscheidung, die Grenzen für Flüchtlinge zu öffnen, hat sich St. Georg stark verändert. Das Viertel ist vielfältiger, bunter und multikultureller geworden, aber auch mit neuen Herausforderungen konfrontiert. Während viele Geflüchtete ihren Platz in der Gesellschaft gefunden haben und aktiv am Leben im Viertel teilnehmen, gibt es weiterhin Probleme wie den Mangel an bezahlbarem Wohnraum und die soziale Integration.
St. Georg bleibt ein Beispiel dafür, wie Migration eine Stadt verändern kann – im Guten wie im Herausfordernden. Es ist ein Viertel, das sich weiterentwickelt und in dem die nächsten Jahre zeigen werden, wie nachhaltig die Integration gelingen wird und welche Weichen für die Zukunft gestellt werden.
