Drogen wie Kokain und Crack stehen im Zentrum vieler Diskussionen – und dennoch bleibt das Wissen über sie oft von Mythen und Vorurteilen geprägt. Mit dem Buch Kokain und Crack. Pharmakodynamiken, Verbreitung und Hilfeangebote, herausgegeben von Heino Stöver und Michael Prinzleve, liegt eine fundierte wissenschaftliche Publikation vor, die Licht ins Dunkel bringt. Das Werk analysiert Konsummuster, die soziokulturellen Hintergründe sowie die Herausforderungen, die diese Substanzen für die Sozial- und Drogenpolitik darstellen.
Ein differenziertes Bild von Kokain und Crack
Die Herausgeber setzen sich in drei klar strukturierten Kapiteln mit den pharmakologischen Eigenschaften der Substanzen, ihrer Verbreitung und den sozialen Dynamiken auseinander. Ein zentraler Gedanke des Buches: Nicht nur die chemische Wirkung der Drogen ist entscheidend, sondern auch die sozialen und kulturellen Kontexte, in denen sie konsumiert werden.
„Die Autoren gehen davon aus, dass weniger die pharmakologische Wirkung einer Substanz ihre gesellschaftliche Bedeutung bestimmt, sondern das Umfeld, in dem sie genutzt wird,“ heißt es prägnant in der Einleitung.
Kapitel 1: Die Grundlagen von Kokain und Crack
Das erste Kapitel gibt eine Einführung in die Wirkung und Verbreitung der Substanzen. Dabei wird detailliert erklärt, wie Kokain und Crack chemisch entstehen und welche Unterschiede in der Wirkung je nach Konsumform bestehen. Der Beitrag von U. E. Kemmesies und B. Werse beleuchtet zudem den sogenannten „kontrollierten Kokainkonsum“ in gehobenen sozialen Schichten, der als Zeichen eines „Enkulturationsprozesses“ diskutiert wird.
Der Höhepunkt dieses Kapitels ist jedoch Heino Stövers umfangreiche Bestandsaufnahme zum Crackkonsum in Deutschland. Mit zahlreichen Studien untermauert, wird der steigende Konsum insbesondere in Großstädten wie Hamburg und Frankfurt analysiert. Ergänzt wird dies durch praxisnahe Hinweise zu „Safer Use“-Strategien, die Konsumenten auf risikoärmeren Konsum aufmerksam machen sollen.
Kapitel 2: Szenen und soziale Dynamiken
Im zweiten Kapitel rücken konkrete Szenarien und soziale Auswirkungen in den Fokus. Besonders aufschlussreich ist der Beitrag über Hamburgs offene Drogenszene, speziell im Stadtteil St. Georg. Hier zeigt eine Studie, dass Crack zwar weit verbreitet ist, jedoch selten isoliert konsumiert wird. Häufig gehen damit andere Substanzen wie Heroin einher, was auf polyvalente Konsummuster hinweist.
Ein weiterer Beitrag beschäftigt sich mit der Verbreitung von Crack unter Frauen in der Prostitution. Autorin A. Langer beschreibt eindrücklich, wie die Substanz soziale Praktiken auf dem Straßenstrich verändert hat und welche neuen Risiken dadurch entstehen.
Für Frankfurt hingegen wird ein ganz anderes Bild gezeichnet: Dort veränderte sich das Image von Crack in den frühen 2000er Jahren. Die Studie Das Ende vom Boom?!? dokumentiert, wie das Konsummuster zurückging und sich gleichzeitig neue Drogenpräferenzen entwickelten.
Kapitel 3: Herausforderungen für die Drogenhilfe
Im dritten Kapitel widmen sich die Autoren den sozialen und gesundheitspolitischen Konsequenzen des Crackkonsums. Besonders der Beitrag über die Einrichtung von Inhalationsräumen in Zürich zeigt, wie innovative Ansätze das Risiko für Konsumenten senken können. Hierbei handelt es sich um Räume, in denen Konsumenten unter hygienischen Bedingungen und mit sozialarbeiterischer Unterstützung Crack rauchen können.
Ein weiterer Beitrag analysiert die Mythenbildung rund um sogenannte „Crackmonster“ und stellt diese in den Kontext der Hilfsangebote. Die Autoren plädieren für eine entstigmatisierende Perspektive, die Konsumenten nicht pauschal kriminalisiert, sondern Unterstützung in den Vordergrund stellt.
Ein Buch für Praktiker und Entscheidungsträger
Die Stärke des Buches liegt in seiner fundierten, multidimensionalen Analyse. Neben der wissenschaftlichen Basis bietet es praxisnahe Ansätze für Sozialarbeiter, Mediziner und politische Entscheidungsträger. Es zeigt auf, wie gesellschaftliche, medizinische und kulturelle Faktoren miteinander verwoben sind – und welche innovativen Lösungen es gibt, um den Konsumrisiken zu begegnen.
Das Werk ist ein unverzichtbarer Begleiter für alle, die sich beruflich mit den Themen Sucht, Sozialarbeit oder Drogenpolitik beschäftigen. Besonders in Hamburg, wo der Crackkonsum in der offenen Drogenszene weiterhin eine Herausforderung darstellt, bietet das Buch wichtige Erkenntnisse und Handlungsempfehlungen.
Ein Meilenstein in der Drogenforschung
Kokain und Crack ist mehr als eine wissenschaftliche Bestandsaufnahme – es ist ein Aufruf, die Thematik differenziert und mit Blick auf die Betroffenen zu betrachten. Die Publikation schärft nicht nur das Bewusstsein für die Komplexität des Drogenkonsums, sondern bietet auch konkrete Lösungsansätze für die Praxis.
Für Sozialarbeiter, Mediziner, Politiker und alle, die sich mit der Drogenproblematik befassen, ist dieses Buch eine Pflichtlektüre. Es leistet einen wertvollen Beitrag, um Mythen und Vorurteile abzubauen und den Weg für eine humane und effektive Drogenpolitik zu ebnen.
