
St. Georg ist ein Viertel der Gegensätze: Reichtum trifft auf Armut, Kulturen prallen aufeinander, und mitten in diesem Gefüge agiert die Polizei. Oft steht sie unter Generalverdacht, strukturellen Rassismus zu fördern. Doch kann man diesen Vorwurf angesichts der täglichen Herausforderungen, mit denen Beamte in Vierteln wie St. Georg konfrontiert sind, nachvollziehen, ohne ihn zu rechtfertigen?
Ein Viertel im Ausnahmezustand?
Der Steindamm ist geprägt von Gewalt, Drogenkriminalität und Prostitution – Probleme, die nicht allein durch polizeiliche Präsenz gelöst werden können. Für viele Polizisten bedeutet dies tägliche Konfrontationen mit Menschen in schwierigen sozialen Lagen, häufig mit Migrationshintergrund. Es entsteht ein Kreislauf aus Frust: Auf der einen Seite stehen Beamte, die sich überfordert und oft alleingelassen fühlen. Auf der anderen Seite die Bevölkerung, die die Polizei nicht als Schutz, sondern als Bedrohung wahrnimmt.
Rassismus als Resultat?
Rassistische Vorurteile unter einzelnen Polizisten können durch diesen Kontext verstärkt werden. Der ständige Umgang mit spezifischen Tätergruppen und die wiederholte Eskalation von Konflikten können Vorurteile begünstigen – besonders, wenn strukturelle Probleme ungelöst bleiben. Es ist ein bekanntes Phänomen: Wo Frust und Hilflosigkeit aufeinandertreffen, sucht der Mensch nach einfachen Erklärungen. Dass dies in Vorurteilen endet, ist falsch, aber menschlich nachvollziehbar.
Verantwortung statt Verständnis
Doch Verständnis darf nicht mit Entschuldigung verwechselt werden. Die Polizei trägt besondere Verantwortung: Sie ist nicht nur Exekutive, sondern auch ein Symbol für staatliche Neutralität und Gerechtigkeit. Rassismus ist in dieser Funktion nicht nur inakzeptabel, sondern gefährlich, da er das Vertrauen in den Rechtsstaat untergräbt. Auch in St. Georg, wo die Probleme komplex und tief verwurzelt sind, darf es keinen Raum für Diskriminierung geben – unabhängig davon, wie groß die Herausforderungen sind.
Ein System am Limit
Die Diskussion über Rassismus in der Polizei sollte deshalb weniger mit moralischem Fingerzeig geführt werden, sondern als Frage nach systemischen Versäumnissen: Ist es nicht ein Fehler der Politik, Beamte in Vierteln wie St. Georg mit unlösbaren Aufgaben zu konfrontieren, ohne sie ausreichend zu unterstützen? Die Bedingungen, unter denen Polizisten hier arbeiten, machen den Beruf zu einer nahezu unmenschlichen Aufgabe. Wer mit Menschen in Not arbeiten soll, darf nicht selbst Opfer eines Systems werden, das Überlastung und Misstrauen fördert.
Der Weg nach vorn
Die Antwort liegt in einem grundlegenden Wandel: Mehr Bildung, interkulturelle Kompetenz und psychologische Unterstützung für Beamte könnten Vorurteile abbauen. Gleichzeitig braucht es Sozialarbeit und städtebauliche Maßnahmen, um die Ursachen der Probleme anzugehen, anstatt sie allein mit Polizeipräsenz zu bekämpfen.
Rassismus ist nicht entschuldbar. Aber um ihn zu bekämpfen, müssen wir die Strukturen hinterfragen, die ihn ermöglichen – auch und gerade in Vierteln wie St. Georg.

