Ich saß auf einer Parkbank am Steindamm, als Marco, ein Junkie, auf mich zukam. Er wirkte müde, sein Gesicht von den Jahren auf der Straße gezeichnet. Ich kannte ihn nicht, aber er setzte sich ungefragt zu mir. „Du wartest auf jemanden?“ fragte er und zündete sich eine Zigarette an. Ich schüttelte den Kopf und sagte, ich wollte nur mit jemandem reden, der das Leben auf der Straße kennt. Das schien sein Interesse zu wecken.
„Hier draußen gibt es Regeln,“ begann er langsam, „die kennt jeder, aber niemand spricht sie aus.“ Marco nahm einen tiefen Zug von seiner Zigarette und schaute mich an, als würde er versuchen, sich an etwas zu erinnern. „Es ist nicht leicht hier,“ fuhr er fort. „Früher war ich Koch. Glaubst du nicht, oder? Ich habe in einer guten Küche gearbeitet, konnte die besten Soßen machen. Aber das Leben hat mich irgendwann erwischt, und jetzt bin ich hier.“
Ich nickte, während er weiterredete, doch plötzlich unterbrach er sich. Er starrte mich an, die Zigarette beinahe aus der Hand fallend. „Warte mal,“ sagte er leise, „kenne ich dich nicht?“ Ich war verwirrt, aber er sprach weiter, als hätte er eine alte Erinnerung gefunden. „Du warst doch der Typ, der mir vor ein paar Jahren 50 Euro gegeben hat, direkt am Hauptbahnhof. Erinnerst du dich? Ich war völlig fertig, und du kamst einfach aus dem Nichts.“
Ich blinzelte und versuchte mich zu erinnern. Ja, ich erinnerte mich tatsächlich. Es war Winter gewesen, er sah aus, als würde er jeden Moment zusammenbrechen. Ohne nachzudenken, hatte ich ihm das Geld in die Hand gedrückt und gesagt, er solle sich etwas zu essen holen.
„Das warst wirklich du, oder?“ sagte Marco mit einem rauen Lachen. „Ich habe dir nie danken können. Du hast keine Ahnung, was das für mich bedeutet hat.“ Er nahm noch einen Zug von seiner Zigarette und schaute nachdenklich auf die Straße. „Es hat nicht alles geändert, aber für einen Moment war ich mehr als nur ein Junkie. Du hast mich an den Menschen erinnert, der ich früher war.“
Wir saßen noch eine Weile schweigend da, beide in Gedanken versunken, während die Hektik des Steindamms um uns herum weiterging.
Menschlichkeit, Charakter und Respekt: Warum Geben wichtiger ist als Nehmen
Menschlichkeit zeigt sich in vielen kleinen Momenten unseres Alltags. Es geht dabei nicht nur um große Gesten, sondern um die kleinen Taten, die wir füreinander tun, oft unbemerkt, oft ohne eine Gegenleistung zu erwarten. Für mich bedeutet Menschlichkeit vor allem, den anderen zu sehen – unabhängig von seiner Situation – und ihm mit Respekt zu begegnen.
Charakter misst sich nicht daran, wie erfolgreich jemand ist oder welche Position er in der Gesellschaft einnimmt. Er zeigt sich in den alltäglichen Entscheidungen, die wir treffen, in der Art, wie wir andere behandeln, wenn wir nichts von ihnen erwarten. Respekt ist nicht an Bedingungen geknüpft, er ist eine Grundhaltung, die wir jedem Menschen entgegenbringen sollten, ob er auf der Straße lebt oder im Vorstand eines Unternehmens sitzt.
Ich habe immer daran geglaubt, dass Geben eine der tiefsten Formen von Menschlichkeit ist. Es geht dabei nicht nur um das Materielle. Geben kann so vieles sein: ein offenes Ohr, ein aufmunterndes Wort, eine kleine Geste, die jemandem zeigt, dass er nicht unsichtbar ist. Wenn ich gebe, dann tue ich das, weil es für mich selbstverständlich ist. Es erinnert mich daran, dass wir als Menschen verbunden sind, und dass es in unserer Macht steht, den Tag eines anderen ein bisschen heller zu machen.
Für mich ist das Geben schöner als das Nehmen. Es schafft Momente der Nähe, die in unserer oft hektischen und anonymen Welt so selten geworden sind. Und das, was man zurückbekommt, ist mehr als materiell. Es ist das Wissen, jemandem geholfen zu haben, auch wenn es nur für einen Moment war. Diese Augenblicke, in denen man spürt, dass eine Geste der Unterstützung etwas bewirkt, sind unbezahlbar.
Menschlichkeit, Charakter und Respekt sind keine leeren Begriffe, sie sind der Kern unseres Zusammenlebens. Sie definieren, wer wir sind und wie wir miteinander umgehen. Wenn wir uns daran erinnern, dass Geben nicht nur den Empfänger bereichert, sondern auch uns selbst, dann verstehen wir den wahren Wert von Menschlichkeit.
Ich bin Nami Shams, einer von vielen, für einige vielleicht nur ein Niemand, für andere ein Jemand. Ich verlange nichts vom Leben – ich nehme, was kommt, und mache das Beste daraus. In schweren Zeiten habe ich gelernt, durch Talfahrten zu gehen, genauso wie ich die steilen, schönen Momente des Lebens erlebt habe. Krankheit und Gesundheit sind beides Teile meiner Geschichte, doch durch all das hindurch habe ich eine Sache nie aufgegeben: das Schreiben. Es ist mein Ausdruck, mein Anker, durch den ich die Welt verstehe und verarbeite.
