Trotz einer juristischen Niederlage versucht die italienische Regierung erneut, Geflüchtete nach Albanien zu bringen, um dort außerhalb der EU über ihre Asylanträge zu entscheiden. Am Hafen der albanischen Stadt Shengjin legte vor wenigen Tagen ein italienisches Marineschiff mit acht Migranten aus Ägypten und Bangladesch an. Nun prüfen die Behörden vor Ort, ob die Geflüchteten nach Italien einreisen dürfen oder in ihre Heimatländer abgeschoben werden. Das Vorgehen sorgt erneut für heftige Diskussionen und rechtliche Bedenken.
Ein Modell mit Symbolcharakter
Italien ist das erste EU-Land, das Asylzentren außerhalb der EU errichtet hat. Die rechtskonservative Regierung unter Ministerpräsidentin Giorgia Meloni hofft, mit dem „Albanien-Modell“ die Zahl irregulärer Einreisen zu reduzieren. Andere europäische Staaten beobachten das Experiment genau. Doch das Modell ist hoch umstritten: Menschenrechtsorganisationen, linke Parteien und auch Gerichte stellen dessen Rechtmäßigkeit und Effektivität infrage.
Die Kosten für die Lager sind erheblich. Schätzungen zufolge belaufen sich die Ausgaben auf bis zu 20.000 Euro pro Migrant. Der nationale Rechnungshof prüft, ob diese Investitionen gerechtfertigt sind. Kritiker warnen, dass die hohen Kosten und die fehlende juristische Grundlage das Projekt scheitern lassen könnten.
Erneuter Rechtsstreit absehbar
Bereits im vergangenen Monat war ein erster Versuch gescheitert, Geflüchtete in albanischen Lagern zu halten. Ein Gericht in Rom entschied, dass Ägypten und Bangladesch nicht als sichere Herkunftsstaaten gelten und die Migranten nach Italien überführt werden müssten. Als Reaktion darauf veröffentlichte die Regierung eine neue Liste mit 19 Ländern, die sie als sicher einstuft – darunter erneut Ägypten und Bangladesch.
Doch die Zweifel bleiben. Nach europäischem Recht darf ein Land nur dann als sicher gelten, wenn in keinem Teil des Landes Verfolgung droht. Viele Experten gehen davon aus, dass auch der zweite Versuch der Regierung Meloni vor Gericht scheitern wird. Ein erneutes juristisches Desaster wäre eine schwere politische Niederlage für Meloni.
Politische und gesellschaftliche Spannungen
Die Frage der Migration ist in Italien ein politisches Reizthema. Giorgia Meloni und ihr Koalitionspartner Matteo Salvini hatten im Wahlkampf versprochen, die irreguläre Einwanderung drastisch einzuschränken. Doch trotz verschärfter Maßnahmen kamen in diesem Jahr mehr als 50.000 Menschen über das Mittelmeer nach Italien. Immer wieder ereignen sich dabei Tragödien mit Toten und Verletzten.
Meloni sieht die Justiz als Hindernis für ihre Migrationspolitik und wirft den Gerichten vor, sich in politische Entscheidungen einzumischen. Ihr Stellvertreter Salvini ging noch weiter und beschimpfte Richter, die gegen die Regierung entscheiden, als „Kommunisten“. Die Opposition warnt vor einer Aushöhlung der Gewaltenteilung und kritisiert die Angriffe auf die Justiz scharf.
Kritik von Menschenrechtsorganisationen
Neben den rechtlichen Fragen sorgt das „Albanien-Modell“ auch bei Menschenrechtsgruppen für Empörung. Sie kritisieren die Auslagerung von Asylverfahren aus der EU als Verstoß gegen internationale Standards. Zudem bemängeln sie, dass in Albanien weder die Rechte der Geflüchteten ausreichend geschützt noch die Bedingungen in den Lagern menschenwürdig seien.
Europäische Reaktionen
Die EU-Kommission hat das Modell nicht offiziell abgelehnt, zeigt sich jedoch zurückhaltend. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen erklärte, sie sei offen für Diskussionen über alternative Ansätze zur Bewältigung der Migration, machte jedoch deutlich, dass diese mit EU-Recht vereinbar sein müssen. Auch andere EU-Staaten wie Dänemark und Großbritannien verfolgen ähnliche Pläne, stoßen jedoch auf ähnliche rechtliche Hürden.
Ein Modell mit vielen Fragezeichen
Das „Albanien-Modell“ ist ein riskanter Versuch, die Migrationspolitik zu reformieren. Ob es Meloni gelingt, ihre Pläne juristisch durchzusetzen, bleibt fraglich. Während die Regierung auf eine Abschreckungswirkung hofft, sehen Kritiker darin eine Aushöhlung von Menschenrechten und internationalen Standards. Die kommenden Wochen könnten entscheidend dafür sein, ob dieses Modell Schule macht – oder als gescheitertes Experiment in die Geschichte eingeht.
