Von Nami Shams
Tätowierungen sind für viele Menschen weit mehr als bloße Körperverzierungen. Sie erzählen Geschichten, markieren Wendepunkte im Leben oder dienen als Ausdruck von Identität und Selbstbewusstsein. Ich selbst bin komplett tätowiert und trage meine Tattoos mit Stolz. Doch wenn ich in diesen Tagen von den erschütternden Berichten über Frauen höre, die während des Tätowierens sexuell belästigt wurden, stockt mir der Atem.

Die Vorstellung, dass ein intimer Moment der Kreativität und des Vertrauens von skrupellosen Männern schamlos ausgenutzt wird, macht mich fassungslos und wütend. Als Mann, als Journalist und als jemand, der die Bedeutung von Tattoos versteht, schäme ich mich zutiefst dafür, dass es solche Menschen gibt – Männer, die ihre Machtposition in einem geschützten Raum ausnutzen, um Frauen zu belästigen.
Ein geschützter Raum wird zum Albtraum
Ein Tattoo-Studio sollte ein Ort sein, an dem sich Menschen sicher und wohl fühlen. Die Entscheidung, sich tätowieren zu lassen, ist für viele ein Schritt in die Selbstverwirklichung. Man begibt sich in die Hände eines Künstlers, der auf der Haut eines Menschen Kunst schafft – oft unter Schmerzen, aber immer im gegenseitigen Einvernehmen.
Doch was geschieht, wenn dieser Raum des Vertrauens zum Ort des Grauens wird? Frauen, die nur einen kreativen Moment erleben wollten, wurden von einem Tätowierer sexuell belästigt. Während sie unter der Nadel lagen – verletzlich und wehrlos – nutzten diese Männer die Situation schamlos aus. Der Gedanke daran lässt mich frösteln.
Die Schamlosigkeit solcher Taten
Es ist schwer, die Dreistigkeit solcher Täter in Worte zu fassen. Diese Frauen haben nicht nur ihren Körper als Leinwand angeboten, sondern auch Vertrauen geschenkt. Sie haben dafür bezahlt, ein Stück ihrer Geschichte auf ihrer Haut tragen zu dürfen – und wurden stattdessen Opfer von Übergriffen.
Wie kaltblütig und manipulativ muss jemand sein, um so etwas zu tun? Frauen zu belästigen, während sie nichts weiter tun können, als stillzuhalten, weil ein falscher Ruck sie verletzen könnte – physisch wie emotional.
Die Konsequenzen für die Opfer
Für die betroffenen Frauen sind diese Erlebnisse nicht nur ein traumatischer Einschnitt, sondern oft ein Bruch mit ihrer eigenen Körperwahrnehmung. Ein Tattoo, das sie einst mit Freude und Stolz tragen wollten, wird zu einer ständigen Erinnerung an den Missbrauch.
Wie verarbeitet man so etwas? Wie kann man jemals wieder Vertrauen fassen – sei es zu einem Tätowierer, zu einem Mann oder zu sich selbst? Die Scham, die viele dieser Frauen empfinden, ist nicht ihre, sondern die der Täter. Doch wir leben in einer Gesellschaft, die Opfern oft das Gefühl gibt, sich rechtfertigen zu müssen.
Ein System, das schweigt
Dass solche Taten überhaupt möglich sind, liegt auch an einem System, das zu oft schweigt. Wie viele dieser Übergriffe hätten verhindert werden können, wenn Studios oder Kollegen die Täter gemeldet hätten? Wie oft wurden Bedenken ignoriert, weil jemand die Konsequenzen für den Ruf des Studios fürchtete?
Die Tattoo-Branche muss sich ihrer Verantwortung stellen. Tätowierer tragen nicht nur eine Nadel, sondern auch die Pflicht, ihren Kunden Sicherheit zu garantieren. Studios müssen klare Regeln aufstellen, ihre Mitarbeiter überprüfen und Vorwürfen konsequent nachgehen.
Ein persönlicher Schmerz
Ich kann die Wut und den Schmerz dieser Frauen auf einer sehr persönlichen Ebene nachvollziehen. Als jemand, der den Prozess des Tätowierens kennt und schätzt, ist es für mich schwer vorstellbar, dass diese Erfahrung in einen Alptraum verwandelt wird.
Wenn ich an meine eigenen Tattoos denke, erinnere ich mich an Stunden, in denen ich mit einem Künstler im Gespräch war, während er meine Vision zum Leben erweckte. Es war ein Moment des gegenseitigen Respekts, der Kreativität und des Vertrauens. Die Vorstellung, dass ein solches Vertrauen gebrochen wird, ist für mich unerträglich.
Wir müssen handeln
Dieser Fall zeigt, wie tief das Problem sexueller Belästigung in unserer Gesellschaft verwurzelt ist. Es geht nicht nur um Tätowierer – es geht um Machtmissbrauch in all seinen Formen. Doch gerade in einem Bereich, der so sehr von Intimität und Vertrauen geprägt ist, ist es umso wichtiger, die Täter zur Rechenschaft zu ziehen.
Ich appelliere an alle Studios, Kunden und Künstler: Sehen Sie nicht weg! Wenn es Anzeichen von Missbrauch gibt, melden Sie diese. Unterstützen Sie die Opfer, hören Sie ihnen zu und geben Sie ihnen die Sicherheit, die sie brauchen.
Und an die Frauen, die diesen Schmerz durchmachen mussten: Ihr seid nicht allein. Eure Geschichten sind wichtig, und ihr habt das Recht, gehört zu werden.
Ein Zeichen setzen
Tattoos sind für viele Menschen ein Ausdruck von Freiheit, Stolz und Individualität. Lassen wir nicht zu, dass diese Bedeutung durch die Taten einiger weniger Männer zerstört wird. Die Tattoo-Welt kann und muss ein sicherer Raum sein – für alle.
Denn Tätowierungen sind mehr als nur Kunst. Sie sind ein Teil von uns. Und niemand sollte das Recht haben, diesen Teil zu verletzen.
Der Fall Iosep Ambokadze: Über 20 Frauen berichten von sexuellen Übergriffen bei „Adeqvat Tattoo“
Hamburg – Der Tätowierer Iosep Ambokadze, Betreiber des Studios „Adeqvat Tattoo“, steht im Mittelpunkt eines erschütternden Falls von sexuellem Missbrauch. Über 20 Frauen haben gegen ihn Vorwürfe erhoben, die von sexuellen Belästigungen bis hin zu körperlichen Übergriffen reichen. Nun hofft die Öffentlichkeit auf eine gerechte Strafe für den Mann, der sein Studio offenbar als Tatort missbrauchte.
Ein Studio des Grauens
„Adeqvat Tattoo“ galt in der Hamburger Tattooszene lange als beliebtes Studio. Viele Kundinnen kamen in der Hoffnung, ein Kunstwerk auf ihrer Haut zu erhalten. Stattdessen wurden ihre Besuche zu traumatischen Erlebnissen.
Laut Aussagen der Betroffenen soll Iosep Ambokadze wiederholt seine Machtposition ausgenutzt haben. Während der Sitzungen habe er die Frauen unsittlich berührt, an intimen Stellen kommentarlos Hand angelegt oder sie verbal bedrängt. Einige Opfer berichten, dass er sie sogar zu sexuellen Handlungen gezwungen habe.
„Ich habe mich so ausgeliefert gefühlt“, erzählt eine Betroffene. „Man liegt da, teilweise halbnackt, und denkt, man sei in sicheren Händen. Doch plötzlich überschreitet der Tätowierer jede Grenze.“
Systematischer Missbrauch
Die Vorfälle erstreckten sich laut Ermittlungen über mehrere Jahre. Ambokadze soll gezielt junge Frauen angesprochen haben, die erstmals ein Tattoo wollten und sich besonders unsicher fühlten. Viele von ihnen haben berichtet, dass er während der Sitzungen die Atmosphäre manipulierte, um Vertrauen zu schaffen, bevor er zudringlich wurde.
Ein Muster, das auch die Ermittler als „systematisch“ beschreiben: Ambokadze habe offenbar bewusst die Abhängigkeit seiner Kundinnen genutzt, um seine Übergriffe zu verschleiern.
Anklage erhoben
Nachdem die ersten Frauen an die Öffentlichkeit traten, meldeten sich weitere Opfer bei der Polizei. Derzeit laufen gegen Iosep Ambokadze Ermittlungen wegen sexueller Nötigung in mindestens 23 Fällen. Seine Anklage umfasst außerdem den Verdacht auf besonders schweren sexuellen Übergriff in mehreren Fällen, was ihm eine Haftstrafe von bis zu 15 Jahren einbringen könnte.

Ambokadze schweigt zu den Vorwürfen. Laut seinem Anwalt bestreitet er alle Anschuldigungen. Doch die Vielzahl an Zeugenaussagen und Beweisen – darunter Nachrichten, die er den Frauen während und nach den Sitzungen schickte – zeichnen ein erschreckendes Bild.
Die Forderung nach Gerechtigkeit
Der Fall sorgt nicht nur in Hamburg, sondern deutschlandweit für Empörung. Viele fordern harte Konsequenzen und strengere Kontrollen in der Tattoo-Branche. „Ein Studio sollte ein sicherer Ort sein, kein Tatort für Übergriffe“, kommentiert eine Aktivistin, die Betroffene unterstützt.
Auch in der Tattooszene selbst gibt es Forderungen nach Veränderungen. „Wir müssen sicherstellen, dass so etwas nie wieder passiert“, erklärt ein Tätowierer aus Hamburg. Er schlägt vor, eine Meldepflicht für Studios einzuführen, bei der Kunden Übergriffe anonym anzeigen können.
Ein Trauma, das bleibt
Für die betroffenen Frauen wird der Weg zur Heilung ein langer sein. Viele von ihnen haben nicht nur körperliche, sondern auch emotionale Narben davongetragen. „Mein Tattoo erinnert mich jeden Tag an das, was mir passiert ist“, sagt eine Frau. „Ich hoffe, dass er eine gerechte Strafe bekommt und niemand mehr durchmachen muss, was wir erlebt haben.“
Ein Appell an die Branche und die Gesellschaft
Der Fall Iosep Ambokadze zeigt erneut, wie verletzlich Frauen in bestimmten Kontexten sein können. Er unterstreicht die Notwendigkeit, nicht nur Täter zu bestrafen, sondern auch präventive Maßnahmen zu ergreifen, um solche Taten in Zukunft zu verhindern.
Tattoo-Studios müssen ihrer Verantwortung nachkommen und sicherstellen, dass ihre Kunden in geschützten Räumen tätowiert werden. Gleichzeitig ist es Aufgabe der Gesellschaft, Opfern Gehör zu schenken und sie bei ihrem Weg zur Gerechtigkeit zu unterstützen.
Für Iosep Ambokadze bleibt die Hoffnung, dass das Gericht ein Urteil fällt, das den zahlreichen Opfern Gerechtigkeit verschafft. Doch die eigentliche Aufgabe liegt noch vor uns allen: Ein System zu schaffen, das solche Taten unmöglich macht.
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