Mit dem Megaprojekt Neom wagt Saudi-Arabien einen Schritt, der die Welt der Stadtentwicklung revolutionieren könnte. Gelegen in der nordwestlichen Region des Königreichs, nahe dem Roten Meer, soll Neom nicht nur eine Stadt, sondern ein völlig neues Konzept des urbanen Lebens werden – nachhaltig, technologisch führend und menschenzentriert.

Das Projekt ist Teil der saudischen Vision 2030, einer Strategie, die das Land unabhängiger von Erdöl machen und wirtschaftliche Diversifikation fördern soll. Hinter dem Projekt steht Kronprinz Mohammed bin Salman, der Neom als „eine Vision der Zivilisation der Zukunft“ beschreibt.
Eine Stadt wie keine andere
Neom ist mehr als ein Name – es ist ein Akronym, das „Neo“ für „neu“ und das „m“ für die Zukunft („Mostaqbal“ auf Arabisch) kombiniert. Das Projekt umfasst eine Fläche von 26.500 Quadratkilometern und soll verschiedene spezialisierte Zonen beinhalten, darunter die lineare Stadt The Line, den Industriekomplex Oxagon und das Bergtourismusgebiet Trojena.

Die Stadt ist so konzipiert, dass sie nicht nur ein Ort zum Leben ist, sondern auch ein Zentrum für Innovation, Forschung und nachhaltiges Wirtschaften. Geplant ist eine Bevölkerung von etwa neun Millionen Menschen, die sich auf hochmoderne Wohnquartiere verteilen, die ausschließlich mit erneuerbaren Energien betrieben werden.
The Line: Das Herzstück von Neom
Der wohl ambitionierteste Teil des Projekts ist The Line, eine lineare Stadt, die sich über 170 Kilometer erstreckt. Das Konzept ist radikal: Keine Autos, keine Straßen, keine CO₂-Emissionen. Stattdessen soll The Line aus zwei parallel verlaufenden, spiegelnden Gebäudestrukturen bestehen, die jeweils 500 Meter hoch und nur 200 Meter breit sind. Innerhalb der Gebäude werden Wohn-, Arbeits- und Freizeitbereiche vertikal organisiert, wodurch ein dichter und effizienter urbaner Raum entsteht.
„In The Line wird jede Einrichtung des täglichen Bedarfs innerhalb von fünf Gehminuten erreichbar sein“, erklärte Kronprinz Mohammed bin Salman in einer Präsentation. Der öffentliche Verkehr soll so gestaltet sein, dass man von einem Ende der Stadt zum anderen in weniger als 20 Minuten gelangen kann.
Nachhaltigkeit und Technologie im Fokus
Neom steht für eine Vision, die Technologie und Nachhaltigkeit in den Mittelpunkt stellt. Die gesamte Energieversorgung wird aus erneuerbaren Quellen wie Solar- und Windkraft gespeist. Zudem sollen intelligente Systeme, basierend auf künstlicher Intelligenz, die Stadt effizienter machen – von Verkehrssteuerung über Energieverteilung bis hin zu Dienstleistungen für die Bewohner.
Ein weiteres Ziel ist die Erhaltung der Natur. Rund 95 Prozent der Fläche von Neom sollen unberührt bleiben, um die Artenvielfalt in der Region zu schützen. Besonders das Bergresort Trojena soll ökologischen Tourismus fördern. Hier wird es Skigebiete, Wanderwege und Unterkünfte geben, die sich harmonisch in die Landschaft einfügen.
Oxagon: Ein neuer Ansatz für Industrie
Neben The Line ist Oxagon ein weiterer wichtiger Teil von Neom. Dieser Industriekomplex wird als das weltweit größte schwimmende Bauwerk konzipiert und soll Innovationen in den Bereichen Automatisierung, Robotik und nachhaltige Produktion vorantreiben. Oxagon wird als wichtiger Knotenpunkt für den Handel positioniert, mit direktem Zugang zu den Seewegen des Roten Meeres.
Herausforderungen und Kritik
So beeindruckend die Pläne klingen, Neom ist nicht frei von Kontroversen. Kritiker hinterfragen die gigantischen Kosten, die auf mehr als 500 Milliarden US-Dollar geschätzt werden, und zweifeln daran, ob das ambitionierte Projekt in der geplanten Zeit umgesetzt werden kann. Auch die Umsiedlung lokaler Gemeinschaften, darunter indigene Beduinenstämme, hat international für Kritik gesorgt.
„Die Vision ist zweifellos beeindruckend, aber ihre Realisierung hängt von zahlreichen politischen, finanziellen und sozialen Faktoren ab“, sagt ein Experte für Stadtplanung.
Fortschritte und Zeitplan
Trotz aller Herausforderungen schreitet das Projekt voran. Die Bauarbeiten an The Line und anderen Teilen von Neom haben bereits begonnen. Erste Abschnitte sollen bis 2030 fertiggestellt sein. Langfristig soll Neom eine neue wirtschaftliche und kulturelle Drehscheibe für den Nahen Osten und darüber hinaus werden.
Hoffnung oder Hybris?
Neom ist ohne Zweifel eines der ambitioniertesten städtebaulichen Projekte unserer Zeit. Es repräsentiert eine Zukunftsvision, die Klimaschutz, technologische Innovation und menschliche Lebensqualität in den Mittelpunkt stellt. Doch ob diese Vision in die Realität umgesetzt werden kann oder ob Neom ein Beispiel für überzogene Megaprojekte bleibt, wird sich erst in den nächsten Jahrzehnten zeigen. Sicher ist: Die Welt schaut genau hin.
