Wenn Polizisten auf Menschen in psychischen Krisen schießen – Eine wachsende Herausforderung
Seit 2019 haben deutsche Polizisten in insgesamt 37 Fällen Menschen erschossen, die sich in psychischen Krisen befanden. Experten betonen die Notwendigkeit besserer Vorbereitung und spezialisierter Schulungen für solche Einsätze. Doch häufig fehlen dafür die nötigen Ressourcen.
Der Fall Oisín O.
Für Katrina und David O. begann der Albtraum im Mai 2019, als ihr Sohn Oisín von der Polizei in Hamburg erschossen wurde. Oisín, frischgebackener Vater, hatte nach der Geburt seines Kindes eine Reihe von belastenden Erlebnissen durchgemacht und begann, sich zunehmend paranoid zu verhalten. Seine Frau rief die Rettungskräfte, als sich sein Zustand verschlechterte. Doch aufgrund seiner Aussagen über Messer im Haus wurde die Polizei alarmiert, die schließlich mit zehn Beamten anrückte.
Oisín, nur in Unterhose und Socken, geriet in eine Konfrontation mit den Beamten, die in einem tödlichen Schusswechsel endete. Ein vermeintliches Messer, das er in der Hand hielt, stellte sich später als Pfannenwender heraus. Der Fall wirft die Frage auf, ob die Polizei durch psychologische Fachkräfte unterstützt und der Einsatz besser hätte geplant werden können.
Mangel an einheitlichen Standards und spezialisierten Schulungen
Eine Analyse zeigt, dass bundesweit keine einheitlichen Standards für den Umgang mit Menschen in psychischen Krisen existieren. Lediglich drei Bundesländer verpflichten alle Beamten zu speziellen Schulungen. In Hamburg etwa besuchen nur ausgewählte Beamte eine Fortbildung, die ihr Wissen dann an Kollegen weitergeben sollen. Experten kritisieren diese Praxis und fordern umfassendere Schulungen. Der ehemalige Ausbilder Rafael Behr regt an, dass Polizisten in psychiatrischen Einrichtungen hospitieren sollten, um den Umgang mit psychisch kranken Menschen besser zu verstehen.
Hindernisse: Personalmangel und begrenzte Ressourcen
Lars Osburg von der Gewerkschaft der Polizei Hamburg weist darauf hin, dass der Arbeitsalltag oft keinen Raum für umfangreiche Fortbildungsmaßnahmen lässt. Zudem scheitert die Unterstützung durch psychologisches Fachpersonal oft am Personalmangel und an den finanziellen Mitteln. Der Mangel an Struktur und Ressourcen führt dazu, dass Veränderungen in der Polizeiarbeit nur schleppend vorangehen.
Fehlende externe Überprüfung und mangelnde Transparenz
Viele Vorfälle, bei denen Polizisten in Deutschland auf Menschen in Krisensituationen schießen, werden intern geprüft. Nur selten wird Fehlverhalten festgestellt, und fast alle Verfahren gegen Polizeibeamte werden eingestellt. Der Kriminologe Tobias Singelnstein kritisiert, dass der Staat sich schwer tut, eigene Amtsträger zu verfolgen, und fordert eine unabhängige Stelle für solche Untersuchungen. Diese könnte für mehr Transparenz und objektive Urteile sorgen.
Der Weg vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte
Oisíns Eltern haben sich damit nicht abgefunden und Klage beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte eingereicht. Sie erhoffen sich ein Urteil, das für mehr Unabhängigkeit in der Aufarbeitung solcher Fälle sorgen könnte. Die Entscheidung des Gerichtshofs könnte eine wichtige Weichenstellung sein, um den Umgang der Polizei mit psychisch kranken Menschen in Krisen nachhaltig zu verändern.

Mathias von Lichtenfeld hat ein Studium im Bereich Journalismus absolviert und arbeitet hauptberuflich in einer renommierten Medienagentur. Neben seiner beruflichen Tätigkeit verfasst er regelmäßig Artikel für das Steindamm Magazin, in denen er über lokale Themen berichtet und seine journalistische Expertise einbringt.